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(c) P.Copper, Drahtlos

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4.2 Sinteröfen

Nach seiner letzten Stelle in dem Sauerländer Erzbergwerk suchte Drahtlos nach einer neuen Beschäftigung. So kam er ins Ruhrgebiet und bewarb sich bei Krupp-Widia in Essen. Die Herstellung von Wolfram-Karbid, allgemein unter dem Markennamen Widia bekannt, kam Drahtlos sehr gelegen. Seine besonderen Fachkenntnisse waren hier gefragt. Das Werk hatte riesige Sinteröfen und stellte eine echte Herausforderung für ihn dar. Tatsächlich erkannte Drahtlos in nur vier Wochen die entscheidenden Schwächen der Anlage. Er entwickelte dann in kürzester Zeit Vorschläge für eine durchgreifende Verbesserung der Prozessführung, die auf allgemeine Zustimmung stießen. Nach weiteren vier Wochen waren die Neuerungen umgesetzt und arbeiteten hervorragend. Drahtlos vermerkt in seinen Notizen stolz, dass das Endprodukt um zwei Prozent härter war, die Produktionszeit um 30 Prozent gesenkt werden konnte, und die insgesamt aufgewandte Energie nur um fünf Prozent gestiegen war. Ein voller Erfolg, der eigentlich eine sofortige Gehaltserhöhung gerechtfertigt hätte, aber leider war Drahtlos noch in der Probezeit. Vielleicht sollte man sein Pulver nicht zu schnell verschießen und ganz allgemein darauf achten, die entscheidenden Erfolge zur günstigsten Zeit zu erreichen.

In dieser Zeit scheint Drahtlos auch Erfolge in seinen privaten Forschungen erzielt zu haben. Etwas unklar ist, ob er wieder einen neuen Sinterofen baute, wo dieser aufgestellt war, und wie er konstruiert war. Die Aufzeichnungen in den Notizbüchern des Ingenieurs wurden hier etwas lückenhaft. Jedenfalls scheint er tatsächlich seinem Ziel einen erheblichen Schritt näher gekommen zu sein. Er hatte den ersten Supraleiter mit einer Sprungtemperatur von exakt 18 Grad entwickelt, eine absolute Sensation der Forschung! Er hätte damit berühmt werden können, aber er wollte offensichtlich mehr, vielleicht ging es ihm darum, die Welt mit einer völlig abgeschlossenen Entwicklung zu überraschen. Sein erster brauchbarer Supraleiter jedenfalls wurde Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, die wieder ganz ausführlich in den Aufzeichnungen beschrieben wurden. Der Versuch, einen Supraleiter über einem Magneten schweben zu lassen, ist ja nun schon allzu bekannt, und Drahtlos hielt sich nicht lange damit auf. Es war ihm klar, dass die erreichbaren Kräfte und damit die zu tragenden Lasten allein von der Fläche des Supraleiters und von der Stärke des Magnetfelds abhingen. Weitere Experimente beschäftigten sich mit der Möglichkeit der magnetischen Energiespeicherung. Es ist zwar schon lange bekannt, dass jeder Eisenkern Energie speichern kann, was ja in Transformatoren, Zündspulen und sogenannten Speicherdrosseln angewandt wird, aber mit einem Supraleiter ließ sich die gespeicherte Energie fast unbegrenzt erhöhen. Die Versuchsanordnung erinnerte mich an Induktionsversuche, die ich schon in meiner Schulzeit im Physikunterricht gesehen hatte.
Die genaue Zusammensetzung und die erforderliche Prozessführung ist mir nicht klar geworden. Ich muss auch sagen, dass meine bescheidenen Fachkenntnisse an dieser Stelle nicht ausreichten. Dazu kommt aber, dass die entscheidenden Seiten in den Notizbüchern des Ingenieurs derartig chaotisch waren, dass eine Orientierung unmöglich schien. Da waren Einträge gestrichen, überschrieben, noch einmal gestrichen und dann quer überschrieben. An einigen Stellen waren nur zwei Änderungen vorgenommen worden, an anderen bis zu fünf. Es war völlig unmöglich, aus diesen Unterlagen auch nur ansatzweise eine Rekonstruktion des Herstellungsprozesses abzuleiten. Zwar waren immer die bereits erwähnten Stoffe beteiligt, aber es kamen noch Spuren anderer Elemente hinzu, die dann teilweise wieder verworfen wurden, und die prozentuale Zusammensetzung wechselte häufig. Möglicherweise konnte Drahtlos, der tief in der Materie steckte, damals seine eigenen Unterlagen entziffern. Es würde mich aber auch nicht wundern, wenn er später selbst nicht mehr reproduzieren konnte, welche Komponenten in einer bestimmte Phase seiner Entwicklungen verwendet wurden. Zumindest in einem Abstand von einem Jahr dürfte es auch ihm völlig unmöglich gewesen sein, noch alles zu durchschauen. Ich selbst war nicht einmal ansatzweise in der Lage, die letzte Version des Experiments nachzuvollziehen. Inzwischen habe ich übrigens diese Seiten herausgetrennt und vernichtet, was ich weiter unten noch genauer begründen werde.
Unter den Gegenständen aus dem Besitz des Ingenieurs Drahtlos befand sich eine bläulich-schwarze Keramikscheibe, deren Material ich lange Zeit für gewöhnliches Ferrit gehalten hatte. Ganz zufällig entdeckte ich dann ganz besondere magnetische Eigenschaften. In der Nähe eines Magneten wurde diese Scheibe nicht angezogen, sondern sie wich etwas zurück. Ich wurde sofort aufmerksam und führte noch andere Experimente durch. Es war nicht schwierig zu erkennen, dass es sich hier um einen Supraleiter handelte. Die Sprungtemperatur betrug exakt 18 Grad. Ich habe die Scheibe zwei Jahre lang praktisch als eine Art Thermometer benutzt. Auf meinem Schreibtisch lag ein großer Ringmagnet, wie er in Lautsprechern verwendet wird. Wenn ich morgens mit meiner Arbeit begann, war es oft noch kühl, so dass ich die Heizung anstellte. Dann legte ich den Supraleiter über den Magneten, wo er in der Luft schwebte. Die Sache war sehr schön anzuschauen, aber irgendwann hatte ich mich natürlich daran gewöhnt, so dass sich meine Aufmerksamkeit auf meine eigentliche Arbeit richtete. Irgendwann hörte ich dann ein "Klack", weil die Sprungtemperatur erreicht war und die Scheibe auf den Magneten fiel. Dann wusste ich, dass nun eine Raumtemperatur von 18 Grad herrschte. Nach einiger Zeit stellte ich übrigens fest, dass dies die ideale Raumtemperatur für mich ist, so dass ich dann immer die Heizung etwas zurückregelte, ein Vorgehen, das mir sogar eine erhebliche Verringerung der Heizkosten einbrachte.


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