Start Vorwort Inhalt Neues Leserbriefe

(c) P.Copper, Drahtlos

weiter


2.9 Sabotage oder Zufall?

Die Sorglosigkeit, mit der Drahtlos seine eigene Katastrophe behandelte, fand ich empörend. Schließlich hatte er doch die Verantwortung. Er hätte die Verdrahtung kontrollieren müssen. Es reicht ja nicht, sich auf irgend einen dummen Monteur zu verlassen. Außerdem hätte er sich selbstverständlich überlegen müssen, wie die Einrichtung in kleinen Schritten zu testen wäre. Dabei wäre der Fehler ja aufgefallen.

Dieser Fall, so muss ich leider gestehen, brachte mich auf einen furchtbaren Verdacht: Handelte es sich hier vielleicht um eine gigantische Inszenierung? War der Ablauf der Katastrophe bis ins kleinste geplant? Was wären die Motive dafür gewesen? Handelte es sich um Rache an der Großindustrie, die ihm so oft Ideen und Patente gestohlen hatte? Oder war es einfach die Freude am ganz großen Knall, der ihm ja mit den Blitzversuchen schon einmal gelungen war? Diese schlimmen Gedanken warfen auch ein ganz neues Licht auf die im Vergleich zu diesem Fall geradezu übergründliche und immer wiederkehrende Analyse möglicher Fehler bei seiner Seilbahn im Schwarzwald. Dort war es ja nie zu einem Unfall gekommen. Wartete Drahtlos in Wahrheit auf eine Katastrophe auch dort? War er vielleicht sogar enttäuscht, dass nichts passierte? Ich muss gestehen, bei diesen Gedanken lief mir ein Schauer über den Rücken. Zugleich schämte ich mich für diesen ungeheuerlichen Verdacht.
Gegen meinen höchst unfairen Verdacht sprach ein unwiderlegbares Argument. Drahtlos war erwiesenermaßen ein Menschenfreund, und er hätte nie absichtlich Menschen in Gefahr gebracht. Sein fliegender Generator hätte aber ebenso einen vollbesetzten Ausflugsdampfer treffen können. Um einen Unfall so genau zu planen, dass eine Gefahr für Menschenleben ausgeschlossen werden konnte, müsste Drahtlos über solche überragenden Fähigkeiten verfügt haben, wie sie einfach nicht vorstellbar sind. Tatsächlich hat es nie einen einzigen ernsthaft Verletzten bei seinen Katastrophen gegeben, wenn man einmal von einigen blauen Flecken absieht, zum Beispiel von denen, die er selbst beim Einsturz der Maschinenhalle davontrug. Auch deshalb hat sich nie ein Staatsanwalt mit seinen Unfällen befasst. Und deshalb ging es ja auch immer so weiter.
Ein Unfall dieser Größenordnung hat übrigens den Vorteil, dass niemals ein einzelner Mann dafür verantwortlich sein kann. Auch die Vorgesetzten, namentlich der Betriebsleiter, hatten ihren Teil der Verantwortung zu tragen. War es nicht eigentlich eine krasse Fehlentscheidung, gerade Drahtlos zum Sicherheitsingenieur des Kraftwerks zu machen? Hätten sich nicht alle Beteiligten vorher ein Urteil über seine Fähigkeiten und vergangenen Leistungen machen müssen? Wahrscheinlich waren allen ihre eigenen Fehler bewusst. Drahtlos erhielt daher ein gutes Arbeitszeugnis, mit dem er sich möglichst schnell an anderer Stelle bewerben konnte.
Seine neue Stelle war in der Kernbrennelementefabrik in Hanau. Ich war tief enttäuscht, als ich bemerkte, dass keine Hinweise auf sein Arbeitsgebiet in den Notizbüchern standen. Es war mir aber schnell klar, dass die Arbeit in einem solchen Werk selbstverständlich der absoluten Geheimhaltung unterliegt. Alle Arbeiten dort waren im höchsten Maße sicherheitsrelevant. Ein krimineller oder auch nur unvorsichtiger Umgang mit angereichertem Uran konnte schließlich unabsehbare Folgen für Millionen von Menschen haben. Deshalb durften absolut keine Informationen nach draußen dringen. Und deshalb konnten auch nur die besten Leute in so einem Werk arbeiten. Ich halte Drahtlos für einen besonders befähigten Mann. Trotzdem blieb ein unangenehmes Gefühl bei der Sache, das ich mir nicht erklären konnte.
Drahtlos hat übrigens das Werk nach einem halben Jahr wieder verlassen. Warum, das konnte ich leider nicht erkennen. Die Einträge in seinen schwarzen Kladden setzten erst an dieser Stelle wieder ein. Etwa ein halbes Jahr später findet sich ein ganz kleiner Hinweis darauf, dass das Brennelementewerk Hanau geschlossen wurde.
Übrigens hat Drahtlos sich nach seiner Tätigkeit in Hanau beim Atomkraftwerk Biblis beworben, wohl weil er seine neu gewonnenen Erfahrungen anwenden wollte. Seine Bewerbung wurde allerdings nicht angenommen, warum blieb unklar. Allerdings muss ich leider gestehen, dass ich eine gewisse Erleichterung darüber nicht verhehlen kann. Womit ich allerdings nicht sagen will, dass ich Drahtlos für einen schlechten Ingenieur halte.
Seine nächste Stelle bekam er in einem Erzbergwerk im Sauerland. Er war dort für die Wasserhaltung zuständig. Eine durchgreifende Verbesserung in der Pumpentechnik führte jedoch bereits nach drei Tagen dazu, dass das gesamte Bergwerk absoff und aufgegeben werden musste.

Oft wird ein Projekt mit Pech übersät,
weil man ein kleines Detail übergeht.


zurück
weiter