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(c) P.Copper, Drahtlos

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2. Die berufliche Karriere

2.1 Die Seilbahn im Schwarzwald

Drahtlos hat in München Maschinenbau und Nachrichtentechnik studiert, wobei aus dieser Zeit fast nichts bekannt ist. 1955 ließ er sich in einem kleinen Ort in Schwaben, nicht weit von Stuttgart, nieder. Er baute ein kleines Ingenieurbüro auf und lebte hauptsächlich von Entwicklungsaufträgen. Nebenbei arbeitete er jedoch immer an eigenen Ideen.

Der erste große Auftrag für den Ingenieur war die Mitarbeit an einer Seilbahn, die irgendwo im Schwarzwald errichtet werden sollte. Drahtlos war durch die Vermittlung eines Studienkollegen an diesen Auftrag gekommen, der inzwischen in einer Maschinenbaufabrik arbeitete, die sich schon mehrmals mit Seilbahnen beschäftigt hatte. Das besondere an dem neuen Projekt war, dass man nach einer Lösung suchte, einen Bach, der praktisch genau den Verlauf der Seilbahn nahm, sinnvoll in das Konzept mit einzubeziehen. Drahtlos sollte entsprechende Vorschläge machen und die nötigen Maschinen planen. Zuerst dachte man daran, ein kleines Wasserkraftwerk zu errichten, das die Seilbahn mit Strom versorgen sollte. Drahtlos errechnete aber schnell, dass dazu ein Staubecken und ein Fallrohr nötig wäre, das wegen der geringen Wassermenge erhebliche Energieverluste verursachen würde. Das ganze wäre auch zu teuer geworden.
Er fand dann eine Möglichkeit, die mir gleich absolut genial vorkam. Alle Gondeln der Seilbahn sollten Wassertanks mit einem Fassungsvermögen von 500 Litern erhalten. An der Bergstation sollten sie befüllt werden, an der Talstation wieder entleert, und das Wasser dem natürliche Verlauf des Bachs zugeführt werden. Die gesamte Strecke der Seilbahn wäre damit trocken. Zugleich konnte das Wasser für den eigentlichen Antrieb der Bahn sorgen. Fahrgäste, die aufwärts fuhren, wurden praktisch durch das abwärts beförderte Wasser bewegt. Eine Generatoreinheit konnte zusätzlich Energie erzeugen, so dass die ganze Seilbahn praktisch zugleich wie ein kleines Wasserkraftwerk arbeitete. Der Ingenieur errechnete einen hervorragenden Wirkungsgrad. In geschickten Verhandlungen mit dem Auftraggeber erreichte er, dass zusätzlich zu seinem relativ geringen Honorar ein gewisser Anteil der Erträge aus der Energieerzeugung an ihn gingen. Dies stellte sich später als die sicherste Einnahmequelle heraus, die Drahtlos jemals hatte.

Aus der ersten Kladde: Die Seilbahn in der frühesten Planungsphase

Die Anlage wurde ohne Probleme so gebaut, wie Drahtlos sie konstruiert hatte. Die Sicherheit stand für ihn an erster Stelle. Alle wichtigen Teile wurden mehrfach überdimensioniert. Zusätzliche Einrichtungen sorgten für einen sicheren Betrieb auch bei eventuellen Störungen. Das ganze Projekt gefiel mir von Anfang an ungemein. Ich möchte ihm für diese Leistung meine uneingeschränkte Anerkennung aussprechen, es ist in der Tat ein gelungener Einstieg in seine Karriere. Alle wichtigen Tugenden des Ingenieurberufs werden hier sichtbar: die Sorge um absolute Sicherheit, der wirtschaftliche Nutzen für die Betreiber und ihn selbst, sowie der Einklang mit den Bedürfnissen von Mensch und Natur. Und trotzdem scheint es, als wäre Drahtlos nicht zufrieden gewesen.
Gleich zu Anfang meiner Lektüre der Aufzeichnungen des Ingenieurs ist mir aufgefallen, dass das Thema Seilbahn regelmäßig wiederkehrt. Er rechnet Energiebilanzen, Konstruktionsdaten und Belastungen der Anlage wiederholt durch, als würde er einen Fehler vermuten. Immer wieder kommt er zu exakt den gleichen Ergebnissen, woraus man schließen kann, dass seine Sorge unberechtigt ist. Trotzdem tauchen die Rechnungen spätestens alle zwei Jahre erneut auf, insgesamt mehr als zehn mal. Gleichzeitig geht aber aus den Aufzeichnungen hervor, dass regelmäßige Zahlungen von der Seilbahn eingehen, so dass man zu dem Schluss kommen muss, alles habe problemlos funktioniert. Warum also ist Drahtlos derart verunsichert? Im Zusammenhang mit der Seilbahn taucht zum ersten mal ein Spruch auf, den ich für bezeichnend halte.

Es scheint oft perfekt,
Was seinen Fehler versteckt.

Ich habe selbst versucht, den möglichen Fehler zu finden. Dabei habe ich mich ganz von den Überlegungen und Berechnungen Drahtlos´ entfernt und die ganze Anlage quasi neu konstruiert. Das Ergebnis stimmte in allen wesentlichen Punkten mit seinen überein. Es gab keinen Fehler! Die Verunsicherung des Ingenieurs führte ich darauf zurück, dass dies sein erster großer Auftrag war. Er war sich seiner Verantwortung bewusst, und es spricht für ihn, dass er das Thema Sicherheit so ernst nahm.
Vielleicht machte er sich Sorgen, dass ein möglicher Fehler in einem Bereich zu suchen war, den man bisher ganz übersehen hatte. In der Tat zeigen Fehleranalysen zahlreicher Unglücke, dass in mehr als 40 Prozent aller Fälle Fehler da auftauchen, wo sie niemand vermutet hatte. Drahtlos formuliert das so:

Das zentrale Problem
Wird leicht übersehn.

Was sollte dieses zentrale Problem sein? Im Bereich der mechanischen Stabilität schien alles völlig problemlos. Ich untersuchte alle möglichen Szenarien vom Ausfall der Wasserzufuhr über mögliche Blitzeinschläge bis zum totalen Stromausfall an der Talstation oder eine Unterbrechung der Leitungen. Bei einem Stromausfall würde der Generator der Seilbahn weiterhin Energie ins Netz einspeisen. Die Spannung würde zusammenbrechen, der Generator also extrem langsam drehen. Die Fahrgäste aber würden sanft wie in Abrahams Schoß zu Tale schweben. Umgekehrt verhielte es sich, wenn die Leitung zur Talstation durchtrennt würde. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass die Seilbahn dann immer schneller würde, so dass es schließlich zu einem Unfall kommen müsste. Aber Drahtlos hatte genau für diesen Fall eine zusätzliche Notfallbremse vorgesehen. Es handelte sich um eine Wirbelstrombremse, die vollautomatisch erst bei Überschreiten der Nenndrehzahl in Aktion trat. Das Personal in der Bergstation würde sofort die leichte Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit bemerken und die Wasserzufuhr entsprechend drosseln. Im Extremfall ließ sich die ganze Anlage völlig problemlos allein mit dem Wasserhahn steuern, wobei ich mit "Wasserhahn" natürlich einen Schieber entsprechender Größe meine. Ich kann nach allen Analysen wirklich nur sagen, der Ingenieur hat eine gute Arbeit abgeliefert!


Technische Hinweise

Da viele meiner Leser in technischen Dingen nicht so bewandert sein werden, möchte ich an entscheidenden Stellen meines Berichts kleine Hintergrundinformationen geben, die vielleicht helfen werden, die Arbeit, die Sorgen und die Freuden des Ingenieurs Dietrich Drahtlos besser zu verstehen.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts sind in der Elektrotechnik Generatoren und Elektromotoren gebräuchlich. Sie beruhen auf der magnetischen Wirkung des elektrischen Stroms und umgekehrt auf der Tatsache, dass ein im magnetischen Feld bewegter Draht elektrische Energie erzeugt. Ein Motor besteht aus einem Magneten und einer drehbaren Spule. Strom durch die Spule erzeugt ein Magnetfeld und damit eine Drehkraft. Praktisch jeder Motor arbeitet aber auch als Generator. Versetzt man ihn in Drehung, ist er in der Lage, elektrische Energie zu erzeugen, so wie ein Dynamo an einem Fahrrad, der übrigens seinerseits unter geeigneten Bedingungen auch als Motor arbeiten kann.

Das Bild zeigt einen typischen Motor mit drehbarer Ankerspule und einer äußeren Feldspule, die meist statt eines Permanentmagneten eingesetzt wird. Jeder weiß, dass ein Dynamo die Bewegung des Rades hemmt, er hat also eine gewisse Bremswirkung. Diese nutzte Drahtlos bei seiner Seilbahn, um eine gleichmäßige Bewegung zu erreichen und gleichzeitig Energie zu erzeugen. Die Energie stammte aus dem Wasser, das die Gondeln mit zu Tal beförderten. Das Wasser übrigens erhielt seine Energie letztlich von der Sonne, die es vom Meer über die Wolken bis in die berge befördert hatte. Wir haben es hier also mit einer Form der erneuerbaren Energie zu tun.


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