Start Vorwort Inhalt Neues Leserbriefe

(c) P.Copper, Drahtlos

weiter


5.6 Esoterische Erfindungen

Später fand ich einmal in einer Zeitschrift eine Anzeige, in der das Wort Drahtlos auftauche. Es ging um Wünschelruten, Erdstrahlen-Absorber und heilkräftige Kristalle. Ein neuartiges Gerät zum Aufspüren einer ungünstigen Aura wurde mit dem Argument angepriesen, es enthalte einen sogenannten Drahtlos-Diskriminator. Das machte mich neugierig. Ich rief bei der Firma an und fragte ganz direkt, ob man zu einem Gespräch über Dietrich Drahtlos bereit sei. Der Mann war einen langen Moment stumm und sagte dann, ich könne ja mal vorbeikommen. Wir verabredeten uns an seinem Wohnort im Allgäu.

Es stellte sich heraus, dass das alte Bauernhaus des Firmeninhabers, den ich hier auf eigenen Wunsch nicht nennen soll, zugleich Wohnhaus und Produktionsstätte war. Ich kam direkt in ein großes Zimmer, das gemütlich von einem Holzofen beheizt wurde. Nahe der Tür lag ein struppiger Schäferhund, der ganze Raum sah etwas verwahrlost aus. Große Regale an der Wand waren voll mit den Produkten der Firma und mit versandfertigen Päckchen. Der Mann begrüße mich freundlich, bat mich aber gleich als erstes, ich solle bitte Drahtlos nicht erzählen, was er jetzt beruflich mache, er würde es wahrscheinlich nicht gut finden. Ich konnte ihn beruhigen und erzählte ihn, woher ich Drahtlos kannte. Dann kam seine Frau rein, sie sah mich durchdringend an. "Sagen Sie nichts ... Wassermann!" "Stimmt!", sagte ich und gab ihr die Hand. Sie brachte eine Flasche selbstgebrauten Hagebuttenwein und setze sich zu uns. Wir kamen gut ins Gespräch. Ihr Mann erzählte von seiner Zeit im Schwarzwald, wo er Drahtlos als Jugendlicher kennen gelernt hatte und von seiner jetzigen Tätigkeit.
"Drahtlos war immer gegen solche Sachen. Ich weiß noch, wie er sich damals mit einigen Wünschelrutengängern angelegt hat. Und die Sache mit dem Perpetuum Mobile hat ihn auch aufgeregt. Er hat für einen selbsternannten Erfinder ein Messgerät gebaut. Dann haben sie sich Wochen lang gefetzt, ob die ganze Sache eine echte Energiequelle oder nur ein Messfehler war. Die Wissenschaft darf nicht missbraucht werden, um Leute zu verdummen, sagte er immer. Drahtlos war so rational, dass er sogar manchmal gar nicht mitkriegte, dass Menschen auch noch eine andere Seite haben. Ich meine Nerven, Gefühle, Ängste und so. Das hat man zum Beispiel bei seinen Blitzversuchen gesehen. Er war der Verfechter des Fortschritts, und die anderen sind fast in die Klapsmühle gewandert. Als die ganze Sache dann schließlich hochging, war ich zum Glück ganz weit weg.
Ich muss sagen, der Mann war fachlich echt spitze. Was der mir alles beigebracht hat, das hätte ich an keiner Hochschule lernen können. Bringen Sie mir einen alten Fernseher. Ich mache ihnen nach Ihrer Wahl daraus einen Sprechfunkempfänger, einen Telegraphiesender, einen Oszillographen, einen Raumluft-Ionisator oder einen Weidezaun-Elektroschockgenerator. Wenn es sein muss, zerlege ich das Ding in Einzelteile und baue damit zehn verschiedene kleinere Geräte. Ich hab auch immer so altes Zeug da, um neue Sachen auszuprobieren. Ohne Schrott im Haus kommt der Erfinder halt nicht aus.
Ohne Drahtlos wär ich nie so weit gekommen, auch beruflich nicht. In meinen Geräten hier steckt mindestens 50 Prozent Know-How von Drahtlos. Deshalb habe ich auch den Drahtlos-Diskriminator in der Anzeige erwähnt. Letztlich werden natürlich einfach nur irgendwelche elektromagnetischen Signale getrennt und angezeigt. Der Mensch verzerrt natürlich das homogene Strahlungsfeld aller ihn umgebenden Hochfrequenzsignale, und zwar um so stärker, je näher seine Körperlänge der halben Wellenlänge eines Signals kommt. Kein Problem, damit irgendwelche spektakulären Effekte zu erzeugen. Was die Leute daraus machen, ist allein eine Sache der Phantasie. Wissen Sie, ich fülle hier nur eine Lücke, die letzten Endes durch die Technisierung selbst entstanden ist. Früher hatten die Leute ihre Religion, einen Haufen Geschichten und alte Leute, die sie um Rat fragen konnten. Heute muss jeder modern sein, immer funktionieren und vor allem keine Schwächen zeigen. Da braucht jeder etwas Balsam für die Seele. Manche gehen ja immer noch in die Kirche, aber andere brauchen eben ein bisschen Hoffnung durch UFOs, meine Strahlenabsorber oder durch die Astrologie. Ich fülle hier nur ein seelisches Vakuum. Wenn einer vor lauter Stress nur noch Kopfschmerzen hat, dann hilft es oft, wenn er mit meinen Geräten feststellt, dass sein Bett auf einer Wasserader steht. Er dreht alles um, wird dabei ein bisschen locker und schläft dann gleich viel besser. Wenn er das dann weiter erzählt, kommen gleich zwei neue Bestellungen hier an. Jedenfalls können wir gut davon leben. Der Stress hält sich auch in Grenzen. Deshalb brauch ich hier auch keine Wasseradern suchen."
Ich erzählte ihm auch eine Menge von Drahtlos, fast alles, was er nicht mehr wissen konnte. Besonders interessant fand er die Sache mit den Supraleitern. Da könnte man doch esoterisch gesehen ne Menge draus machen. Ich musste ihn da enttäuschen, es war ja schon alles vernichtet. Auch meine Theorien zum Verschwinden des Ingenieurs interessierten ihn sehr. Wir diskutierten lange über alle Möglichkeiten, kamen aber nicht recht zu einem Ergebnis. Er tendierte etwas mehr zu meiner zweiten Theorie, nach der das geplante Experiment tatsächlich geglückt wäre. Sein Argument war aber nur, dass Drahtlos nach seiner Erfahrung immer alles geschafft habe, was er sich jemals vorgenommen habe. Dabei bezog er übrigens auch alle Katastrophen ausdrücklich mit ein.


zurück
weiter