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(c) P.Copper, Drahtlos

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4.6 Tödliches Unglück?

Dritte Theorie: Drahtlos lebt nicht mehr.

Leider ist auch diese Theorie nicht ganz unbegründet. Lieber würde ich mir vorstellen, dass er auf einer sonnigen Insel seinen verdienten Ruhestand genießt. Aber die Umstände machen es nicht ganz unwahrscheinlich, dass Drahtlos nicht mehr unter uns weilt. Warum hätte er sonst seine Notizen niemals abgeholt!

Ich möchte gleich mit der schrecklichsten aller Möglichkeiten beginnen und hier die Frage aufwerfen, ob Drahtlos seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat. Leider muss ich sagen, dass es nicht wenige Menschen gibt, die diesen Ausweg wegen wesentlich geringer Katastrophen gewählt haben, als sie Drahtlos zu verkraften hatte. Sollte am Ende der Unfall bei Widia zu viel für ihn gewesen sein?
Ich muss mir selbst hier mit einem klaren Nein antworten. Es ist völlig eindeutig, dass die letzten Berechnungen nach der kleinen Notiz über den Unfall erfolgten. Es war nicht die kleinste Erregung oder Unsicherheit zu erkennen, so als hätte es sich nur um eine umgefallene Mülltonne gehandelt. Ich selbst war ja geradezu empört über die Gelassenheit, mit der Drahtlos seine letzte Katastrophe überging.
Ich habe in diesem Zusammenhang auch darüber nachgedacht, ob Drahtlos wohl ein glücklicher Mensch gewesen ist. Man muss natürlich feststellen, dass es ihm nicht immer sehr gut ergangen ist. Zweimal wurde sein gesamter Besitz bis auf seine Aufzeichnungen ein Opfer der Flammen. Danach geriet er von einer Katastrophe in die andere, wobei seine finanzielle Situation immer schlechter wurde. Am Ende musste er gar in einer Gartenlaube leben. Viele Menschen wären darüber in Depressionen verfallen. Drahtlos dagegen schien völlig immun gegen alle Arten von Katastrophen. Was an ihm besonders auffiel, ist sein Gleichmut, mit dem er immer wieder neu anfing und sich neuen, größeren Aufgaben stellte. Obwohl er in den letzten Jahren gezwungen war, Arbeit in Fabriken und Großanlagen zu suchen, hat er letztlich immer seine eigenen Ziele verfolgt. Man kann sogar sagen, Drahtlos hat Zeit seines Lebens immer getan, was er wollte. Demnach muss er ein glücklicher Mensch gewesen sein. Dafür spricht übrigens auch die Freundlichkeit, die er besonders den jungen Menschen entgegenbrachte. Auch aus diesem Grunde scheidet ein Freitod völlig aus.
Es besteht aber noch die Möglichkeit, dass er bei seinem geplanten Experiment verunglückt ist. Am wahrscheinlichsten erscheint mir dabei die Möglichkeit, dass er zwar wie geplant abgehoben ist, dann aber in den Baldeneysee stürzte. In einem solchen Fall wäre es möglich, dass nie eine Spur von ihm entdeckt wird, denn der Stausee ist am Grund von einer dicken Schlammschicht bedeckt, die durch die Ruhr im Laufe von Jahrzehnten angeschwemmt wurde. Allerdings ist auch dies nur eine Vermutung, die sich nur auf ein einziges Argument stützen kann: Wäre der Ingenieur weiter südlich abgestürzt, hätte man ihn gefunden.
Zufällig bin ich auch noch auf eine weitere Möglichkeit gestoßen. Bei meiner Suche in den Zeitungsarchiven stieß ich auf eine kleine Meldung, die besagte, dass man am Tag nach seinem geplanten Experiment einen Tagesbruch im Stadtwald gefunden hatte. Es handelte sich vermutlich um den Einsturz eines alten Stollens aus der Anfangszeit des Kohlebergbaus. Jedenfalls war ein mehr als vierzig Meter tiefes Loch entstanden, das man später mit Sand und Kies verfüllte. Die Stelle lag fast genau auf dem Weg, den Drahtlos von seiner Gartenlaube zur Isenburg zurücklegen musste. Er benutze zu dieser Zeit ein sehr altes Moped, für das er auch einen Anhänger besaß, was übrigens ein weiteres Indiz für seine katastrophale finanzielle Situation darstellt. Es gab etwas früher in seinen Aufzeichnungen Hinweise darauf, dass er dieses Moped auf einem Schrottplatz entdeckt und repariert hatte. Drahtlos könnte auf dem Weg zu seinem Experiment mit dem Moped verunglückt sein, indem er in dieses Loch gestürzt ist. Für diese These spricht leider auch ein kleiner Hinweis in dem besagten Zeitungsartikel, dass neben dem Loch seltsame Drähte gefunden wurden. Möglicherweise war etwas von der Ausrüstung vom Anhänger gefallen, als Drahtlos mit seinem Moped von der Erde verschluckt wurde.
Ich fasse auch diese These zusammen: Drahtlos ist vielleicht entweder bei seinem Experiment oder auf dem Weg dorthin verunglückt, ein Freitod scheidet dagegen völlig aus.


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