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(c) P.Copper, Drahtlos

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3.3 Gitarrenverstärker

Beim Bau des zweiten Verstärkers ergab sich das Problem, dass nicht mehr zwei gleiche Endröhren vorhanden waren, eine Spätfolge der Röhren-Werferei. Es wurden daher verschiedene Typen (PL36 und PL504) verwendet. Drahtlos bemühte sich, die unterschiedlichen Daten durch verschiedene Kathodenwiderstände teilweise wieder auszugleichen. Das Ergebnis war ein nie gehörter Klang, der entscheidend zum Erfolg der Heißen Röhren beitrug. Es gab ein Konzert, bei dem exakt sechs Stücke gespielt wurden. Am Ende des letzten Stückes ging der Verstärker in Flammen auf. Der Erfolg war unbeschreiblich.

Der dritte Verstärker, allgemein nur noch als V3 bezeichnet, hatte wieder zwei gleiche Röhren des neueren Typs PL504, die diesmal aus anderer Quelle stammten. Das Ergebnis war aber enttäuschend, da die gewohnten Verzerrungen fehlten. In mühsamer Kleinarbeit wurde ein Verfahren zu Herstellung des idealen Klangs ausgearbeitet. Es zeigte sich, dass Nelli so etwas wie das absolute Gehör besaß. Es gelang ihr, den korrekten Klang zu rekonstruieren. Sie selbst schrieb eine Abgleichanweisung auf, die auch noch für die folgenden Verstärker V4 bis V6 Gültigkeit hatte. Zunächst wurde an einer Röhre eine reduzierte Schirmgitterspannung eingesetzt, um die Steilheit um 25 Prozent zu verringern. Das Ergebnis wurde mit dem Oszillographen überprüft. Darauf wurde an der selben Röhre der Kathodenwiderstand verkleinert, bis sich der gleiche Ruhestrom ergab. Dann erfolgte ein Feinabgleich der Ausgangsübertrager durch Entfernen einzelner Windungen der Sekundärwicklung. Außerdem gab es noch die Möglichkeit einer Veränderung des Heizstroms durch Parallelschaltung von zusätzlichen Widerständen. Die beiden letzten Schritte konnten nur noch mit dem Gehör überprüft werden, da die genaue Klangfarbe sich der Messtechnik im Labor des Ingenieurs entzog. Am Ende war jeder Verstärker ein nicht wiederholbares Unikat. Drahtlos pflegte die Daten mit einer einfachen Messbrücke zu überprüfen und stelle jedesmal einen Klirrfaktor von exakt 34,5 Prozent in einem Aussteuerbereich zwischen 20 und 95 Prozent fest. Diese Ergebnisse notierte er voll Anerkennung, obwohl er wusste, dass sie keine ausreichenden Daten zur Beschreibung des Heiße-Röhren-Klangs waren.
Bei V3 ergab sich das Problem, dass er fast nicht brennen wollte. Der Gitarrist war schon völlig erschöpft und kurz davor aufzugeben, als endlich die ersten Flammen aus dem Lederkoffer züngelten. Der Erfolg war berauschend. Aber man einigte sich auf eine Art Notbremse. Der Verstärker bekam ab V4 einen zusätzliche Regler, mit dem man den Ruhestrom anheben konnte. Zur Not hätte der Verstärker auch ohne Gitarre gebrannt. Ein zusätzlicher Helfer musste den Regler auf einen Wink des Gitarristen betätigen und damit die letzen Akkorde einleiten. Das ganze lief dann immer gleich ab: Man spielte fünf Stücke, viel mehr waren ohnehin nicht geübt. Wenn beim sechsten Stück die Röhren hell glühten, mussten die Sanitäter die ersten Mädchen raustragen. Bei den ersten Qualmwolken tobte die Menge. Sobald die erste Röhre schmolz oder der Koffer in hellen Flammen stand, war der Höhepunkt erreicht. Das Konzert endete im allgemeinen Chaos, Stühle gingen zu Bruch, auch Verletzte waren nicht selten. Die Jungs von der freiwilligen Feuerwehr waren jedesmal begeistert, dass es was zu löschen gab. Ab V4 verwendete man ein Tischchen mit einer Blechauflage für den Verstärker, um die Schäden an der Halle gering zu halten. Es hatte auch den Vorteil, dass das Publikum den Verstärker besser sehen konnte. Ein Pastor meinte einmal, das ganze erinnere ihn fatal an ein heidnisches Brandopfer, wie es im Dritten Buche Mose beschreiben sei. Er könne deshalb kein Konzert der Heißen Röhren im Gemeindesaal zulassen, eine Entscheidung, die möglicherweise auch von der Sorge um das Mobiliar getragen war.
Es gab übrigens eine Konkurrenzband, "Die Reißenden Saiten". Obwohl es sich um die besseren Musiker handelte, kamen sie nicht gegen die Heißen Röhren an. Sie verwendeten einen kommerziell gefertigten Nobelverstärker mit vier Röhren EL34, der fürchterlich viel Geld gekostet hatte und für den auch bei Volllast eine erhebliche Lebensdauer garantiert wurde. Trotzdem entschlossen sie sich in ihrer Not, den Feuer-Trick nachzuahmen. Der Erfolg war bescheiden. Beim ersten Mal brachten sie es nur zu einem schnöden Kurzschluss ohne eigentliche Flammen. Beim zweiten Mal ging alles schon vor dem ersten Ton in Flammen auf. Und beim dritten Versuch brannte eine Art Wunderkerze, ohne den Verstärker zu beschädigen. Der Gitarrist merkte nichts und spielte weiter. Das Publikum tobte vor Lachen. Seit der Zeit wurden die Reißenden Seiten nur noch als Vorband für die Heißen Röhren eingesetzt. Nach deren Abgang war sowieso alles zu spät.
Dass hier ausnahmsweise mal auch die menschliche Seite der Technik ausführlich beschrieben werden kann, verdanke ich nicht dem Ingenieur, sondern Nelli. Sie hat neben den Abgleichhinweisen und verschiedenen Messreihen und Plänen für den nächsten Verstärker auch den Verlauf der einzelnen Konzerte beschrieben und Zusatzinformationen geliefert. Sie ist übrigens die einzige, die außer ihm selbst in die Bücher schreiben durfte. Außer Ihrer und Drahtlos´ Handschrift taucht nie eine andere auf, nicht einmal die der Assistenten, die Drahtlos in späteren Jahren manchmal hatte. Schon mein erster Eindruck war, dass Drahtlos sehr viel von Nelli hielt. Es gab zwar keine genauen Hinweise, aber ich schätzte den Altersunterschied zwischen beiden auf etwa zehn Jahre, eine Spanne, die nicht unüberbrückbar erscheint. Der Ingenieur und die Sängerin, das wäre auch ein interessantes Thema gewesen, allerdings hätte ich wahrscheinlich nichts davon in den schwarzen Kladden gelesen.
Technische Hinweise: Röhren

In einer Glühlampe befindet sich ein dünner Draht aus Wolfram. Dieses Metall schmilzt erst bei über 3000 Grad, deshalb kann man den Glühdraht durch einen elektrischen Strom so stark erhitzen, dass er hell leuchtet. Aber man muss die Luft fernhalten, sonst verbrennt das Metall in kürzester Zeit. Die Erfindung der Glühlampe wird Edison zugeschrieben. Es verwendete damals Glaskolben, die völlig evakuiert, also leergepumpt waren. So konnte der Draht nicht verbrennen. Edison entdeckte aber noch etwas anderes. Wenn man noch einen zweiten Draht einbaute, der den Glühdraht nicht berührte, dann konnte man einen Strom durch den völlig leeren Raum fließen lassen. Der zweite Draht musste dazu an eine positive elektrische Spannung gelegt werden. Nahm man eine negative Spannung, dann passierte nichts. Dieser sogenannte Edison-Effekt war eine Sensation. Zum einen hatte man nun einen Gleichrichter, also eine Art elektrisches Ventil. Zum anderen aber war nun klar, was Elektronen sind und wie sie sich verhalten.

Heute weiß man, dass Elektronen sehr kleine, elektrisch negative Teilchen sind, die sich in Drähten frei bewegen können. Wenn man einen Draht aber stark erhitzt, treten einige Elektronen aus und können sich im leeren Raum frei bewegen. Sie werden dann von einem weiteren, positiven Draht angezogen und bilden einen elektrischen Strom. Den zusätzlichen Draht nannte man nun die Anode, den negativen Heizdraht die Kathode. Klar, wenn man an die Anode eine negative Spannung legt, werden die Elektronen abgestoßen und erreichen sie nie. Strom kann also nur in einer Richtung fließen. Fast genauso waren auch die Gleichrichterröhren aufgebaut, die Drahtlos in seinen ersten Verstärkern verwendete. Sie dienten dazu, nur eine Richtung des Wechselstroms hindurchzulassen und so einen Gleichstrom zu erzeugen. Solche Gleichrichterröhren waren der Anfang der Elektronik, die ja auf der Bewegung von Elektronen beruht.

Der entscheidende Durchbruch in der Röhrentechnik wurde erzielt, als man zwischen Glühdraht und Anode noch ein Drahtgitter einbaute. Damit konnte man nämlich den Strom zur Anode steuern, also kleiner oder größer werden lassen. Legte man an das Gitter eine negative Spannung, dann wurden Elektronen zurückgestoßen und konnten nicht mehr so leicht die Anode erreichen, der Anodenstrom wurde kleiner. Eine geringe Änderung der Gitterspannung konnte den Anodenstrom sehr stark ändern. Und schon hatte man den ersten Verstärker. Später kamen noch einige Verbesserungen hinzu. Man verwendete ein Metallröhrchen mit einer Beschichtung aus Metallen, die ihre Elektronen besonders leicht freigeben. In diesem Kathoden-Röhrchen befand sich eine elektrische Heizung, natürlich wieder eine Art Glühdraht. Aber das Ganze musste nicht mehr so stark erhitzt werden, etwa 1000 Grad reichten. Man sieht daher bei modernen Röhren nur ein relativ schwaches, rotes Glühen. Dieses besondere Licht ist einer der Gründe, warum Freunde der Nostalgie immer noch an den Röhren hängen.


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