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(c) P.Copper, Drahtlos

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2.2 Flucht aus Schwaben

Nicht alle Aufträge waren so nervenaufreibend wie das Seilbahn-Projekt. Drahtlos nahm auch kleinere Arbeiten an, die nicht in dem Maße sicherheitsrelevant waren. Viele Entwicklungen gehörten in den Bereich der landwirtschaftlichen Maschinen. Oft kamen Bauern zu ihm, die neue Stroh- oder Mist-Transportbänder oder Futtermühlen brauchten. Er berechnete dann die Anlagen und führte die Aufträge in Zusammenarbeit mit einer örtlichen Maschinenbaufirma oder Schlossereibetrieben aus. Leider kam es dabei hin und wieder zu Missverständnissen in der Definition des Auftrags oder zu kleineren Pannen. Ein Bauer etwa hatte die täglich zu befördernde Mistmenge versehentlich um eine Größenordnung falsch angegeben. Drahtlos hatte zwar alles korrekt ausgeführt, die Anlage war aber am Ende zehnfach zu groß. Der Bauer weigerte sich zu zahlen. Es kam zu einem unangenehmen Streit, der damit endete, dass Drahtlos die Kosten tragen musste. In einem anderen Fall hatte Drahtlos eine neuartige Förderschnecke für festen und flüssigen Mist mit einem Drehstrommotor ausgerüstet, der zunächst wochenlang problemlos lief. Dann aber wurden elektrische Installationen auf dem Hof erneuert, wobei man feststelle, dass bisher zwei Phasen des Drehstromnetzes vertauscht gewesen waren. Der Elektriker berichtigte den Fehler und erreichte damit, dass das Fördersystem nun genau falsch herum lief. Leider bemerkte niemand das Problem, so dass die Kühe nach wenigen Stunden bis zum Euter im Mist standen. Der Bauer verstand natürlich nicht die Ursache des Fehlers und machte Drahtlos verantwortlich.


Technische Information: Drehstrom

Eine Batterie hat zwei Anschlüsse, eine normale Steckdose auch. Aber ein Drehstromanschluss hat drei Kabel. Für größere Maschinen verwendet man fast ausschließlich Drehstrom. Im Kraftwerk befindet sich ein Generator mit drei Spulen. Jede Spule erzeugt Wechselstrom, zusammen produzieren sie Drehstrom. Hochspannungsleitungen haben daher immer 3 oder 6 oder 9 oder 12 Drähte plus einen Blitzableiter ganz oben.

Ein Motor mit ebenfalls drei Spulen, also ein Drehstrommotor, dreht sich so schnell wie der Generator im Kraftwerk. Auch auf die Drehrichtung kann man sich verlassen, jedenfalls wenn man die Leitungen nicht vertauscht.


Allgemein, muss man sagen, dass Drahtlos immer sehr viel Pech hatte. Er erreichte nie den Erfolg, den er sich erwünschte. Auch seine Umgebung schien ihm die angemessene Anerkennung zu versagen. Viele machten sich sogar über ihn lustig. Man grüßte ihn zum Beispiel mit: "Na Herr Drahtlos, heute wieder ratlos?" Anscheinend setzte sich im näheren Umkreis schließlich völlig der Name "Ingenieur Ratlos" durch, meines Erachtens völlig zu Unrecht, denn bereits die Aufzeichnungen in den Jahren 1955 bis 1958 enthielten vieles, was heute noch als bahnbrechend bezeichnet werden kann. Allgemein hängt ja der persönliche Erfolg oft nicht allein von den Fähigkeiten eines Menschen ab.
Schließlich reichte es doch noch zu einer gewissen lokalen Berühmtheit. Ingenieur Drahtlos entwickelte nämlich eine bedeutende Zusatzeinrichtung für die damals üblichen Erntemaschinen. Es ging darum, dass nun auch die typischen niedrigen Apfelbäume des Schwabenlandes vollautomatisch abgeerntet werden konnten. Es gelang ihm, einen lokalen Maschinenbauer zu begeistern. Innerhalb eines Jahres hatte fast jeder Bauer im Umkreis von 40 Kilometern die Erntemaschine von Drahtlos. Ich fand sogar einen etwas vergilbten Zeitungsausschnitt mit der Überschrift "Drahtlos schwer auf Draht". Es handelte sich um eine Anspielung auf die Konstruktion der Maschine, die sehr viele elastische Drähte hatte und den Baum sozusagen vorsichtig durchkämmte. Irgend etwas muss aber falsch gelaufen sein. Denn genau ein Jahr später führte die selbe Erfindung zu einem fast totalen Ernteausfall bei Äpfeln in der gesamten Region. Die genaue Ursache konnte Drahtlos selbst nicht mehr untersuchen, denn in einem solchen Fall verstehen die Schwaben keinen Spaß. Drahtlos musste fliehen, sein Haus wurde ein Opfer der Flammen. Nur seine Aufzeichnungen konnte der Ingenieur gerade noch retten.
Trotz dieses tragischen Endes waren seine Jahre in Schwaben die glücklichste Zeit seiner Laufbahn. Nie wieder hat er an einem anderen Ort so lange gelebt. Meist beendeten irgendwelche Katastrophen seinen Aufenthalt, so dass er schließlich entwurzelt in immer kürzeren Abständen von Ort zu Ort reiste, was letztlich auch die Frequenz seiner Katastrophen erhöhte.


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